Provenienzforschung am Stadtmuseum Oldenburg
Was bedeutet Provenienzforschung?
Die Provenienzforschung an Museen, Bibliotheken und Archiven befasst sich mit der Herkunft und der Eigentumsgeschichte der Werke und Objekte. Eine wichtige Grundlage für diese Arbeit ist die Washingtoner Erklärung von 1998, zu deren Umsetzung sich Deutschland zusammen mit 43 weiteren Staaten bekannt hat. In der sogenannten Gemeinsamen Erklärung von 1999 haben Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände die Selbstverpflichtung zur Provenienzforschung als langfristige Aufgabe der deutschen öffentlichen Einrichtungen näher formuliert. Im Vordergrund steht dabei die Auffindung von ehemals jüdischem Eigentum, das in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft von 1933 bis 1945 unrechtmäßig den Besitzer wechselte, vielfach durch Beschlagnahmung. Auch Gegenstände, die jüdische Bürger in wirtschaftlicher Not veräußern oder auf der Flucht zurücklassen mussten, gelten als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut.
Provenienzforschung am Stadtmuseum
Im Anschluss an die Untersuchung der Bernhard-Winter-Stiftung wurde die Provenienzforschung am Stadtmuseum Oldenburg seit Oktober 2016 konsequent fortgeführt und auf weitere wichtige Sammlungsbestände ausgedehnt. Auf dem Prüfstand standen zunächst alle Kunsterwerbungen, die in den Jahren 1933 bis 1945 Eingang in die Sammlungen des Stadtmuseums fanden. Bei der systematischen Spurensuche ging es um etwa 1700 Objekte. Während der Recherchen kamen auch einzelne Sammlungsstücke ans Licht, die zwar erst nach 1945 ans Haus gekommen waren, aber Verdachtsmomente aufwiesen. In einem anschließenden Forschungsprojekt wurden daher die Bestände der Nachkriegszeit, die ab 1946 in die Sammlung aufgenommen wurden, hinsichtlich ihrer Herkunft gesichtet und verdächtige oder auffällige Zugänge systematisch überprüft. Diese intensiven Recherchen umfassten noch einmal gut 150 Objekte und ihre Geschichte.
Insgesamt drei Forschungsprojekte wurden bis November 2024 durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste gefördert und durch die Provenienzforscherin Sabine Stührholdt betreut. Im Juni 2019 und im September 2024 konnte das Stadtmuseum verschiedene Sammlungsstücke an die rechtmäßigen Erben der früheren Oldenburger Eigentümer restituieren, also zurückgeben – und auf diese Weise zugleich an das Leben und an die unermessliche Leidensgeschichte der betroffenen Menschen während der Judenverfolgung in der NS-Zeit erinnern.
Sammlungsstücke, deren Provenienzen für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 im Ergebnis der Recherchen bedenklich bleiben, werden in der Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste dokumentiert (siehe untenstehende Links). Die umfassende wissenschaftliche Dokumentation aller Rechercheergebnisse findet Eingang in die Forschungsdatenbank Proveana des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste.
Objekte der jüdischen Oldenburger Familie Henny und Siegfried Insel
Im Mittelpunkt langer Recherchen stand die Geschichte von Siegfried und Henny Insel, die bis 1936 in Oldenburg lebten und 1943 von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Aus ihrem ehemaligen Besitz besaß das Stadtmuseum Oldenburg bisher eine Zinnkanne und ein Ensemble Hochzeitsschmuck (Abbildungen siehe oben), Hochzeitsschmuck, die als Schenkung von privat 1997 in den Sammlungsbestand gekommen waren und nun im Rahmen der Provenienzforschung intensiv erforscht worden sind. Aufgrund ihrer belastenden Herkunftsgeschichte haben die Nachkommen der Familie Insel diese besonderen Erinnerungsstücke am 24. September 2024 offiziell von der Stadt Oldenburg zurückerhalten.
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Verdachtsfall „Die Welle“ – Ein Gemälde von Franz Radziwill
Ein weiterer, besonderer Schwerpunkt der Provenienzforschung lag auf dem frühen expressionistischen Gemälde „Die Welle“ von Franz Radziwill, entstanden 1921/22. Das Stadtmuseum erwarb es 1980 durch Ankauf aus der Kunstsammlung des Oldenburger Neurologen Dr. Georg Düser, der ein enger Freund und zugleich der wichtigste Förderer Franz Radziwills war. Zahlreiche Werke hatte der leidenschaftliche Sammler über Jahrzehnte direkt bei seinem Künstlerfreund gekauft, nicht jedoch das Gemälde „Die Welle“. Denn dessen Erstbesitzer war der jüdische Oldenburger Arztkollege und Kunstsammler Dr. Georg Rosenthal. Gleich 1922 kaufte der mit Düser befreundete Mediziner „Die Welle“ auf der ersten Ausstellung der Oldenburger Vereinigung für junge Kunst. Während der NS-Diktatur ab 1933 musste Georg Rosenthal den erzwungenen Niedergang seiner Oldenburger Arztpraxis erleiden. Zusammen mit seiner Ehefrau Else überlebte er die deutsche Judenverfolgung durch die rechtzeitige Flucht ins US-amerikanische Exil im November 1937. Spätestens um 1940 war Georg Düser der neue Besitzer des Gemäldes „Die Welle“. Trotz sehr umfangreicher Recherchen konnten der Zeitpunkt und die Umstände der Eigentumsübergang bisher nicht geklärt werden. Es bleibt daher ein konkreter Verdacht auf NS-verfolgungsbedingten Entzug.
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Restitution des Grundsteins der alten Synagoge an die Jüdische Gemeinde
Als ein Ergebnis der Provenienzforschung am Stadtmuseum hat die Stadt Oldenburg den Grundstein der Oldenburger Vorkriegs-Synagoge am 19. Juni 2019 an die Jüdische Gemeinde zu Oldenburg restituiert, das heißt offiziell zurückgegeben. Die 1854 erbaute Synagoge war in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 durch die Nationalsozialisten zerstört worden. Der Grundstein mit seinem ursprünglichen Inhalt wurde im Jahr 1959 bei Bauarbeiten gefunden.
In der Folge gelangte der leere Stein in den Bestand des Stadtmuseums. Im Anschluss an die Restitution hat die Jüdische Gemeinde den symbolhaltigen Stein dem Stadtmuseum als großzügige Dauerleihgabe überlassen. Als ein wichtiger materieller Zeitzeuge soll er an die Geschichte jüdischen Lebens in Oldenburg und an das vergangene Unrecht erinnern.
Synagogen-Grundstein als Dauerleihgabe in der Ausstellung zur Stadtgeschichte
Der restituierte Grundstein der alten Synagoge wird in der künftigen Ausstellung zur Stadtgeschichte dauerhaft zu sehen sein. Schon seit Sommer 2019 war er im Stadtmuseum ausgestellt, zusammen mit wesentlichen Teilen seines ursprünglichen Inhalts: zwei gravierten Platten, zwei Münzen und einer Zeitkapsel, die als Leihgaben aus dem Braunschweigischen Landesmuseum kommen. Denn anders als der Grundstein selbst war der Inhalt nach seiner Entdeckung an die kleine jüdische Nachkriegsgemeinde in Oldenburg übergeben worden, kam aber später auf Umwegen nach Braunschweig. Im Stadtmuseum Oldenburg bleiben bedeutende Teile davon erstmals seit 1959 auf längere Dauer mit dem Grundstein zusammengeführt.
Weiterführende Informationen finden Sie hier:
Ein Beitrag von Oldenburg Eins zu dem Thema Provenienzforschung am Stadtmuseum Oldenburg
Ein Beitrag des Stadtmuseums zum Internationalen Tag der Provenienzforschung 2022
Fundmeldungen des Stadtmuseums Oldenburg in der Lost Art Internet-Datenbank
Ermöglicht wurde die langjährige Forschungsarbeit mit großzügigen Fördermitteln des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste ». Die Stiftung unterstützt förderwürdige Projekte der Provenienzforschung in deutschen Museen, Bibliotheken und Archiven. Den Institutionen wird damit ermöglicht, ihre Sammlungsbestände im Hinblick auf unrechtmäßig entzogenes Kulturgut systematisch zu überprüfen.

Netzwerk Provenienzforschung in Niedersachsen
Das Stadtmuseum Oldenburg ist Mitglied im Netzwerk Provenienzforschung in Niedersachsen », das den fachlichen Austausch auf Landesebene bündelt. Mit dem Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg besteht darüber hinaus vor Ort eine enge Zusammenarbeit in der Provenienzforschung.