„Die Welle" – ein Ölgemälde von Franz Radziwill

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Ein konkreter Verdacht auf NS-verfolgungsbedingten Entzug ruht auf dem expressionistischen Gemälde „Die Welle“ von Franz Radziwill, das ehemals dem jüdischen Oldenburger Arzt Dr. Georg Rosenthal gehörte. Es entstand 1921/22 und nimmt im Frühwerk des bekannten Dangaster Künstlers einen wichtigen Platz ein. Erst 1980 kam es in den Bestand des Stadtmuseums Oldenburg. Die umfangreichen Recherchen zu diesem besonderen Verdachtsfall gleichen der Arbeit an einem Puzzle. Hier erhalten Sie einen Einblick in die bisherigen Ergebnisse der Provenienzforschung und die noch offenen Fragen.

 

Die Provenienz des Gemäldes bis 1926

Das Stadtmuseum Oldenburg erwarb das Gemälde 1980 aus dem Besitz des Oldenburger Neurologen Dr. Georg Düser. Er war über viele Jahrzehnte ein enger Weggefährte des Künstlers Franz Radziwill und zugleich ein leidenschaftlicher Sammler von dessen Werken. Doch anders als die meisten Gemälde seiner privaten Kunstsammlung hat Georg Düser „Die Welle“ nicht direkt bei seinem Malerfreund gekauft, sondern aus zweiter Hand. Denn der einstige Erstbesitzer des Bildes war ein Arztkollege von Düser, der jüdische Allgemeinmediziner Dr. Georg Rosenthal (geboren 1886 in Hörde/Westfalen).

 

Er und seine Frau Elisabeth, genannt Else, waren Mitglieder in der Oldenburger Vereinigung für junge Kunst. Gleich auf der ersten Ausstellung der Vereinigung im Jahr 1922 kaufte Georg Rosenthal das Gemälde „Die Welle“ für 5.200 Mark. Drei Jahre später, 1925, gab er es als Leihgeber auf eine Franz-Radziwill-Ausstellung der Vereinigung. Im damaligen Katalogheft ist das Bild als „unverkäuflich“ gekennzeichnet. Kurz zuvor hatte er dagegen erwogen, das Gemälde eventuell gegen ein anderes zu tauschen. Dazu kam es zu dieser Zeit offenbar nicht. Denn im Anschluss an die Ausstellung hat Georg Rosenthal das Gemälde im April 1926 wieder abgeholt. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Eigentümerschaft des Bildes daher geklärt.

 

Von Bad Zwischenahn nach Oldenburg

Der „praktische Arzt und zugelassene Kassenarzt“ Dr. Georg Rosenthal hatte seine Praxis zunächst in Bad Zwischenahn. Seine Ehefrau Else, geborene Krawczyk, war als Assistentin mit ihm in der Praxis tätig. Doch schon vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde der Praxisbetrieb zunehmend schwierig: Die Bauern wollten keinen Judendoktor mehr“, wie Rosenthal später schilderte. Darum zogen die Eheleute 1928 mitsamt der Praxis aus dem ländlichen Zwischenahn in die Stadt Oldenburg.

In der Osterstraße 10 begründeten sie einen Neuanfang, zunächst mit viel Erfolg. Das Ehepaar schaffte sich eine neue Wohnungseinrichtung an und erwarb weitere Kunstgegenstände. „Die Praxis vergrößerte sich von Jahr zu Jahr“, so schrieb Georg Rosenthal rückblickend, bis die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen. Die dann folgenden antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes richteten die berufliche Lebensgrundlage des Oldenburger Ehepaares zunehmend zugrunde: „Meine Praxis fiel, und fiel rapide seit 1933. In einigen Jahren überstiegen die Ausgaben die Einnahmen“.

In wirtschaftlicher Bedrängnis zogen die Eheleute Rosenthal 1936 mitsamt der Praxis um in die Schüttingstraße 20. Doch auch die damit verbundene Verkleinerung der Arztpraxis konnte die erdrückenden Einschränkungen durch rassistische Verfolgung nicht auffangen.

Flucht durch Emigration in die USA

„1937 habe ich ihm den dringenden Rat gegeben, Deutschland zu verlassen, weil die Bedrohungen gegen ihn sichtlich zunahmen.“ ­– So erinnert sich rückblickend der Oldenburger Mediziner Johannes Gramberg an die verzweifelte Situation seines früheren Arztkollegen Georg Rosenthal. Flucht durch Emigration wurde 1937 für das Ehepaar Rosenthal zur unausweichlichen Konsequenz, um ihre private und wirtschaftliche Existenz vor der stetig zunehmenden Bedrohung zu sichern, der die jüdische Bevölkerung in der Gauhauptstadt Oldenburg und in ganz Deutschland ausgesetzt war. Um die gemeinsame Auswanderung zu finanzieren, so Rosenthal später, „musste ich sogar eine Anleihe aufnehmen“.  Vorübergehend quartierte sich das Ehepaar bei der Mutter Rosenthals in Hörde (heute Dortmund) ein. Von dort aus erreichten die Eheleute über Le Havre mit dem Dampfer „Lafayette“ am 02.12.1937 New York. Das kinderlose gebliebene Paar ließ sich im Bundesstaat New York nieder. Im amerikanischen Exil nahm der Oldenburger Arzt den Vornamen George an. Erst zwei Jahre nach der Emigration gelang es Dr. George Rosenthal, wieder eine ärztliche Praxis zu eröffnen, bis dahin lebte das Ehepaar „von geliehenen Geldern“.

 

Besitzerwechsel

In Oldenburg ist das Gemälde „Die Welle“ bald nach Kriegsende wieder öffentlich zu sehen: Im September 1946 ist es als unverkäufliche Leihgabe aus Privatbesitz auf einer Radziwill-Ausstellung des Kunstvereins im Landesmuseum ausgestellt. Offensichtlich ist der Nervenarzt Dr. Georg Düser zu diesem Zeitpunkt neuer Besitzer und Leihgeber des Gemäldes, denn in einem undatierten, um 1940 verfassten Brief an seinen Freund Franz Radziwill schreibt der Oldenburger Arzt bereits von „meinem Wellenbild“, in dem die Sonne „gewaltiger“ dastehe als in einem anderen Bild des Künstlers. 

Eine Freundschaft mit Fragezeichen

Die beiden Kunstliebhaber Georg Rosenthal und Georg Düser waren in den 1920er Jahren Freunde. Über den Verlauf ihrer Freundschaft wissen wir nicht viel. Wann und in welchem Zusammenhang lernten sie sich kennen? In der Vereinigung für junge Kunst, wo auch Düser und dessen Ehefrau Mitglieder waren? Als Berufskollegen? Oder über ihr gemeinsames Interesse an Franz Radziwills Werken? Während Düser sich ab 1923 zum Freund und Sammler von Radziwill entwickelte, erwarb auch Rosenthal weitere Arbeiten des Künstlers.

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erklärt Georg Rosenthal in einem Brief aus den USA an einen Oldenburger Freund, dass er selbst mit Georg Düser befreundet gewesen sei, bis dieser „Parteigenosse“ wurde. Düser war bereits am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten. Demnach muss die Freundschaft beider Ärzte zu Beginn des NS-Regimes ein Ende gefunden haben, zumal der Nervenarzt und Sammler Georg Düser sich erst später vom Nationalsozialismus distanziert hat. Nach dessen eigener Schilderung hatte die Freundschaft dagegen Bestand. 1946 erklärt er gegenüber der Militärregierung: „Ich konnte vielen von der Partei Verfolgten durch Rat und Tat und mit Geldmitteln helfen. Ich nenne den Arzt Dr. Rosenthal […] Zeugen sind die Betreffenden selbst, die leben und erreichbar sind.“ Georg Rosenthal hatte überlebt und war auch erreichbar, was seine Nachkriegs-Korrespondenz mit dem früheren Oldenburger Arztkollegen Dr. Johannes Gramberg belegt. Offenbar jedoch gab es zwischen Rosenthal und Düser nach 1945 keinen weiteren Kontakt mehr, was Rosenthals schriftliche Erinnerung vom Ende der Freundschaft bekräftigt und Düsers Schilderung widerlegt.

Wann und wie fand der Eigentumsübergang statt?

Sehr wahrscheinlich hat der Eigentumsübergang des Gemäldes von Georg Rosenthal zu Georg Düser ohne den Umweg über einen weiteren Zwischenbesitzer stattgefunden. Doch wann genau und zu welchen Bedingungen? Grundsätzlich kommt hierfür der Zeitraum von April 1926 bis zur Emigration Rosenthals im Oktober 1937 infrage. Es verdichtet sich allerdings die Vermutung, dass Georg Rosenthal sich erst in der zunehmenden Bedrängnis der Jahre ab 1933 von dem Gemälde „Die Welle“ getrennt hat, um trotz des Verlusts eines großen Teils seiner Einkünfte finanziell über die Runden zu kommen oder um 1937 seine Auswanderung zu finanzieren. Hat der leidenschaftliche Radziwill-Sammler Georg Düser seinem jüdischen Arztkollegen das Gemälde unter den erdrückenden Umständen abgekauft und dies als Freundschaftsdienst verstanden? Wenn das der Fall war, welchen Preis zahlte er für das Bild? Zur heutigen Beurteilung eines solchen Vorgangs gehört die Frage, ob die Kaufsumme dem damaligen Wert des Bildes angemessen war oder ob Georg Rosenthal sich in schwieriger Lage gezwungen sah, einen geringeren Erlös zu akzeptieren.

Um bewerten zu können, ob ein Unrecht zugrunde liegt, ist es wichtig, die Umstände des Eigentümerwechsels so genau wie möglich herauszufinden. Noch fehlen die entscheidenden Nachweise, wann und unter welchen Umständen Georg Rosenthal sich vor seiner Emigration 1937 von dem Gemälde trennte und Georg Düser es in Besitz nahm. Das Stadtmuseum Oldenburg hat den Kontakt zu einem amerikanischen Großneffen von Else und Georg Rosenthal aufgenommen, in der Hoffnung, dass in den USA noch ein Nachlass der Eheleute existiert, der den erwünschten Aufschluss gibt.

 

Die Provenienzforschung am Stadtmuseum Oldenburg wird großzügig gefördert durch die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste.