April 1851: Nauplia
Am 28. April ging es mit dem Dampfschiff „Otto" von Piraeus weiter nach Nauplia. Nauplia war die Residenz des noch minderjährigen Königs Otto. Die Reise wurde mit großem Gefolge durchgeführt. Außer der Königin und dem Prinzen waren auch Hadji Christo, „einer der verwegensten Anführer im Freiheitskampf", sowie General Manouris, Admiral Sahini, „ein hydriotischer Feuerkopf", und andere griechische Würdenträger an Bord.(1) Diese Reise hatte auch politische Gründe – das Königshaus musste dem Volk angesichts der vielen deutschen Beamten beweisen, dass Griechenland keine bayrische Provinz war.(2) So gab es in Nauplia einen offiziellen Empfang der Königin unter der Beteiligung ausgewählter Gäste aus dem Volk. Darunter war der hochangesehene, aber beim Königshaus in Ungnade gefallene Kalergis.(3, 4) Die Reisenden übernachteten auch in Nauplia. „Wir schliefen auf unseren Matratzen in einem alten Haus recht gut; eine Kammerjungfrau hatte aber das tragische Schicksal oben mit einem Bein durch den Fußboden zu brechen, das nur mit Hülfe – ich weiß nicht ob bloß des Arztes oder auch des Tischlers – herausgezogen werden konnte. Sie kam mit einer Contusion davon (5), die sie nicht hinderte am andern Tage zu Pferde zu steigen."(6, 7)
Nach einem Tag in Nauplia, der mit Besichtigungen der Stadt und Besuchen ausgefüllt war, ging es am nächsten Morgen um 5 Uhr schon nach Tiryns und von dort nach Mykene. „Zuerst besuchten wir ein unterirdisches Gewölbe, aus zwei Kammern bestehend, gewöhnlich ,die Schatzkammer des Atreus‘ oder ,das Grab des Agamemnon‘ genannt; vielleicht war es beides."(8) Beaulieu zog es vor, mit dem Wagen von Nauplia nach Mykene in Begleitung des Admirals Sahini zu fahren. Jedoch mussten sie eine halbe Stunde vor Mykene den Wagen verlassen und zu Fuß gehen. Das Grab des Agamemnon besichtigten sie „obwohl erst 10 Uhr morgens eine solche drückende Hitze in der schattenlosen Gegend, dass wir uns nicht im Stande fühlten diesen Weg zurückzulegen, wogegen besonders mein dicker Admiral, in Anbetracht des notwendigen Rückwegs zum Wagen, sehr große Abneigung zeigte."(9) Somit fiel die Besichtigung des Löwentores aus. Die Truppe zu Pferde war da sehr sportlich – von Argos aus ritten sie nach Mykene – Amalie hatte es wieder so eilig, dass Dalwigk Mühe hatte, den Anschluss an die Gruppe zu erreichen.(10) Beaulieu, wohl sehr belesen, datierte die Bauten auf das Jahr 1300 v. Chr. und lag da nicht falsch. Erst Schliemann hat Ausgrabungen Ende des 19. Jahrhunderts vorgenommen. Von der mykenischen Kultur im Mittelmeerraum wusste man noch wenig.(11)
Zum Vergleich eine frühere Zeichnung: Das Löwentor von Mykene, in der Mitte der Burgberg von Argos, im Hintergrund links Nauplia und das Innere des Golfes von Argos, gezeichnet von Magnus von Stackelberg, der um 1811 bis Mai 1814 Griechenland bereiste. Stackelberg ist bekannt für seine stimmungsvollen Zeichnungen, die akribisch genau die antiken Monumente dokumentieren.(12, 13) Ein Vergleich mit Dalwigks Zeichnungen zeigt, dass sich fast gar nichts innerhalb von 40 Jahren geändert hat; der Massentourismus hatte noch lange nicht eingesetzt.
1 Dalwigk, S. 102.
2 Beaulieu, S. 59, schreibt über das Löwendenkmal für die gefallenen Bayern im Dorf Pronia: „Die Griechen,die den Baiern nicht sehr hold sind, meinen, es sei für diejenigen Baiern errichtet, welche hier am Übermaß der Gurken und Melonen gefallen sind. Diese malitiösen Spaßvögel!"
3 Dimitrii Kalergis (1803-1867) war ein bedeutender griechischer Freiheitskämpfer, der als Adjudant des Königs und Militärkommandant 1845 in Ungnade fiel. 1848 wurde er nach einem fehlgeschlagenen Versuch das Königreich zu revolutionieren festgenommen, aber bald wieder entlassen. Erst 1854 wurde er wieder zum griechischen Kriegsminister ernannt. Ein Jahr später musste er zurücktreten. Bei dem Königspaar war er äußerst unbeliebt. Er war maßgeblich an der Wiederbesetzung des griechischen Thrones nach Ottos Abdankung beteiligt. (Encyclopedia Britannica, 1911, Stichwort: „Kalegis, Dimitri")
4 Dalwigk, S. 104, schreibt, dass Kalergis mit einem Ehrensäbel verliehen von den griechischen Kaufleuten Londons, erschien. Ihm seien von den Türken, bei einer Schlacht schwer verwundet, die Ohren als Trophäen abgeschnitten worden. Sie hatten ihn für gefallen gehalten. Er hatte sich nicht gerührt und war so am Leben geblieben.
5 Contusion bedeutet Quetschung.
6 Beaulieu, S. 59.
7 Die Kammerfrau Frau von Brott aus Oldenburg war die Unglückliche (Dalwigk, S. 104).
8 Dalwigk, S. 109.
9 Beaulieu, S. 61.
10 Dalwigk, S. 108.
11 Die Ausgrabungen von Schliemann begannen am 7. August 1876 und fanden weltweite Resonanz. Sie waren der Beginn der Erforschung mykenischer Kultur. Wer diese spannende Geschichte noch einmal lesen möchte, dem sei "C. W. Ceram, Götter Gräber und Gelehrte. Roman der Archäologie" und dort das Kapitel "Die Maske des Agamemnons" empfohlen, womit wieder der Bogen nach Oldenburg geschlagen wird, wo das Werk seinen Anfang nahm ( https://www.lb-oldenburg.de/termin/veranstaltungsarchiv/2006/goettergraeber.html, zuletzt abgerufen am 04.01.2024).
12 Das Leben von Markus von Stackelberg wird ausführlich geschildert in: Gerhard Rodewald, Otto Magnus von Stackelberg München/Berlin, 1959.
13 Magnus von Stackelberg (1786-1837) war ein bildender Künstler und Autor. Seine publizierten Griechenlandbilder fanden weite Verbreitung.
Anmerkung zur Zeichnung der Festung Bourtzi bei Nauplia: Die Festung wurde 1471 von den Venezianern errichtet. Man konnte von dort den Hafen von Nauplia absperren.