Fundstück: Geschirr-Set

Kantinengeschirr, 6-teilig

Text: Franziska Boegehold-Gude

Seit Kurzem ist ein unauffälliges Geschirr-Set Teil unserer Sammlung. Es besteht aus einem flachem und einem tiefem Teller, einer Suppentasse, einer kleinen Schüssel und einer Tasse samt Untertasse. Keramik verrät häufig durch ihre Marke auf der Unterseite etwas über Produktionsstätte und Zeitraum der Herstellung. Das vorliegende Geschirr offenbart über die Bezeichnung am Boden noch mehr: Es erzählt vom Nationalsozialismus und von der Heilanstalt Wehnen bei Oldenburg.

Die Heil- und Pflegeanstalt Wehnen (die heutige Karl-Jaspers-Klinik) war und ist eine psychiatrische Einrichtung. Vor und im Zweiten Weltkrieg war die Heilanstalt Teil der systematischen Ermordung, Zwangssterilisierung und anderer Verbrechen an Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen in Deutschland durch die Nationalsozialisten. Dies war Teil der sogenannten „Rassenhygiene“, mit der die „arische“ Bevölkerung gestärkt werden sollte.

In der Einrichtung in Wehnen wurden während des Nationalsozialismus schätzungsweise insgesamt etwa 1.500 Patienten gezielt getötet. Dies wurde durch Aushungern und Medikamentengabe erreicht; dazu kam eine Überbelegung der Anstalt ab 1939. Viele Jahrzehnte blieb dieses dunkle Kapitel in der Geschichte der Heilanstalt unbearbeitet. Seit einigen Jahren aber erfolgt eine Aufarbeitung der Vorgänge. In der Alten Pathologie auf dem Gelände der Karl-Jaspers-Klinik ist eine Gedenk- und Dokumentationsstätte entstanden. 

Und das Geschirr? 1934 wurde das „Amt für Schönheit der Arbeit“ eingerichtet für eine soziale und ästhetische Gestaltung von Arbeitsplätzen. Da Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten verboten worden waren, sollte das Amt die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter vertreten. Unter anderem wurde von diesem Amt das schlichte und funktionale Kantinengeschirr „Modell des Amtes Schönheit der Arbeit“ entworfen und von ausgewählten Betrieben produziert. Dieses Geschirr fand auch in Wehnen Verwendung, wie die Objekte in unserer Sammlung zeigen. Denn das Set hat sich bei einer Mitarbeiterin der Einrichtung erhalten, von deren Nachfahrin das Stadtmuseum die Stücke übernehmen konnte.