Im Jahr 1937 flieht ein jüdischer Arzt und Kunstsammler aus Oldenburg vor dem NS-Regime nach New York. Neun Jahre später taucht ein bedeutendes Werk aus seiner Sammlung in einer Ausstellung in Oldenburg wieder auf – als Leihgabe eines neuen Besitzers. Wo war Franz Radziwills Gemälde „Die Welle“ in der Zwischenzeit und unter welchen Umständen wechselte es seinen Besitzer? Das Stadtmuseum Oldenburg hat die Umstände des Eigentümerwechsels untersucht und bittet nun die Bevölkerung um Mithilfe.
Franz Radziwills expressionistisches Ölgemälde „Die Welle“ ist seit 1980 Teil der Sammlung des Stadtmuseums. Es wurde durch einen Ankauf aus dem Besitz des Oldenburger Neurologen Dr. Georg Düser übernommen. Im Rahmen der Provenienzforschung – der Überprüfung der Herkunft von Objekten aus der Museumssammlung – hat das Stadtmuseum nun untersucht, ob der jüdische Vorbesitzer das Gemälde in der NS-Zeit unter dem Druck rassistischer Verfolgung hatte verkaufen müssen.
Zwei Oldenburger Ärzte
Der Kunstsammler Dr. Georg Düser war ein Oldenburger Nervenarzt und über viele Jahrzehnte ein enger Weggefährte des Künstlers Franz Radziwill. Viele Gemälde seiner privaten Sammlung kaufte Düser direkt bei seinem Künstlerfreund. „Die Welle“ jedoch kam aus zweiter Hand in seinen Besitz. Denn der einstige Erstbesitzer des Bildes war ein Arztkollege, der jüdische Allgemeinmediziner Dr. Georg Rosenthal. Er kaufte das Gemälde „Die Welle“ im Jahr 1922 auf einer Ausstellung der Oldenburger Vereinigung für junge Kunst. Rosenthal zog einige Jahre später von Bad Zwischenahn nach Oldenburg und führte bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten eine gut laufende Arztpraxis in der Osterstraße 10. 1933 begann die Verfolgung und Ausgrenzung durch das NS-Regime. Die Repressalien nahmen so stark zu, dass Rosenthal sich 1937 schließlich zur Aufgabe der Praxis gezwungen sah. Er erhielt den dringenden Rat eines Kollegen, Deutschland zu verlassen. Noch im selben Jahr emigrierte Rosenthal gemeinsam mit seiner Frau Else in die USA und lebte fortan im Bundesstaat New York.
Besitzerwechsel mit Fragezeichen
Das Gemälde „Die Welle“ jedoch trat die Reise über den Atlantischen Ozean nie an. Kurz nach Kriegsende war das Werk in einer Radziwill-Ausstellung des Kunstvereins im Landesmuseum Oldenburg zu sehen. Leihgeber war Dr. Georg Düser, der Oldenburger Arzt, aus dessen Sammlung das Bild später an das Stadtmuseum kam. Wie war das Gemälde in seinen Besitz gekommen? Hatte der vormalige Besitzer Rosenthal das Kunstwerk schon vor 1933 an Düser verkauft? Oder erst in der NS-Zeit, etwa, um die hohen Kosten der Emigration in die USA zu finanzieren? Wenn der Verkauf nach 1933 erfolgte, welchen Preis hatte Düser für das Bild bezahlt? Und hatte Rosenthal in der Notsituation möglicherweise einen günstigeren Kaufpreis akzeptieren müssen?
Briefe gesucht
Diese Fragen sowie die genauen Umstände des Eigentümerwechsels wurden im aktuellen Provenienzforschungsprojekt am Stadtmuseum untersucht. Doch noch fehlen die entscheidenden Quellen, um die Zusammenhänge zu rekonstruieren. Daher bittet das Stadtmuseum nun die Bevölkerung um Hinweise. „Wir wissen, dass der ursprüngliche Besitzer Georg Rosenthal nach seiner Emigration einen regen Briefaustausch mit verschiedenen Oldenburger Personen geführt hat“, erklärt Provenienzforscherin Sabine Stührholdt. „In diesen Briefen könnten sich Informationen befinden, anhand derer sich die Umstände aufklären ließen. Wir suchen daher Briefe und Dokumente, die Auskunft über die Beweggründe und Umstände des ungeklärten Eigentümerwechsels geben.“
Hinweise nimmt das Stadtmuseum über stadtmuseum(at)stadt-oldenburg.de oder 0441-235 2881 entgegen.
Das Stadtmuseum nimmt den TAG DER PROVENIENZFORSCHUNG am 12. April zum Anlass, um den Verdachtsfall „Die Welle“ erstmals umfänglich zu schildern. Tiefergehende Informationen zum aktuellen Forschungsstand sind hier» zu finden.